»MUSS HEUTE PASSIEREN«

Benjamin Althammer und Else Gabriel 2025
 

Heute, morgen — aber am besten schon gestern. Formular 1, Vertragsentwurf 9, Passierschein A38 — nur noch schnell die Welt retten. Dringend!

Der solide recherchierte Artikel des Vortags ist am folgenden Abend schon Makulatur. Die Datenkabel laufen heiß, wir schicken Papiere im Kreis und verzichten auf eigensinniges Denken. Hoch lebe die "Schwarmintelligenz" der Blasen. Hauptsache, es brummt.
Arbeiten will eh keiner mehr und mit dieser Jugend kann es nur bergab gehen. Früher hätte es das nicht gegeben. Setz dich hin, nimm dir einen Keks. Durchatmen. Mal ein wenig Gras anfassen und auf der Wiese liegen. Keine Zeit!
Unterdessen werden Volkskörper beschworen und wir jammern auf höchstem Niveau. Schleichend, doch umfassend vollzieht sich eine radikale Wende. Mit Ideen von gestern zielstrebig nach vorne in die Rentnerrepublik. Türen zu, Fenster zu, Ausländer raus!

Kunst braucht Zeit. Und zeitgenössische Kunst muss mehr sein als eine Kommentarfunktion zum Weltgeschehen. In Erregungsspiralen eine karrieretaugliche Wendeltreppe zu erklimmen, erscheint verlockend — aber je wuchtiger der tagesaktuelle Skandal, umso brüchiger die Stiegen. Denn je schnelllebiger das Geschehen, um so eher läuft Mensch Gefahr, bei beschleunigtem Nachdenken auch mal Pech zu haben. Erstaunt erlebt man Zeitgenossen, die in solchen Momenten die eigene Erhabenheit ebenso zu spüren meinen wie die Existenz tragfähiger Flügel, und auf diesem Hochgefühl beharren, auch wenn sie längs durchs Kiesbett schrammen. Subversion wird wieder verdächtig. Wer sich nicht stressen lässt, verdirbt das Spiel.
Bildhauerei ist seit jeher die Kunstform der Bodenhaftung und Schwerkraft. Eine Idee braucht Zeit. Ein Material kennenzulernen ebenso. Eine Form zu finden, ist kein Sprint, eine gelungene Inszenierung gehört sensibel austariert. Kein solides Konzept gelingt ohne gedankliche Vertiefung. Die Frage, wie sich das in einer Ausbildung unterbringen lässt, die seit Bologna auf Zielstrebigkeit getrimmt ist, beschäftigt uns täglich. Wie können wir in Ruhe denken und arbeiten, wenn alle nur noch durch die Tage und Wochen hetzen?

Lieber verreisen oder doch mit dem Kopf durch die Wand? Mache ich mich in der Jogginghose unmöglich oder im Anzug lächerlich? Der weltanschauliche Kompass rotiert, und welche ist denn nun die richtige kommunistische Partei? Landesverteidigung oder Lachnummer? Freibad oder Waldbaden?

Schon seit einer Weile lässt sich auch unter den Studierenden eine verstärkte Unsicherheit in Anbetracht der Großwetterlage beobachten. Die Kürzungspolitik wirft ihre Schatten voraus in eine Zukunft, die wir gerade erst vorbereiten. Verdrängung und Verdummung nehmen die Stadt in den Würgegriff, die Spielrüume werden kleiner, die Schere geht auf. Nichts Neues unter der Sonne.

Titelfindung in der Gruppe ist ein Training in meditativer Logorrhö, Überwindung der Hemmschwelle, sich zu blamieren und immer sehr komisch, bevor es wieder langatmig wird. In einem solchen Moment kam die Mahnung »MUSS HEUTE PASSIEREN« und wurde zum Titel. Wir gehen auf die Jagd und tauchen in Echokammern ein. Wir denken an Mode und meinen Kunst.
Wir bieten Triebabfuhr und Kontemplation. Wir laden ein, an ungewohntem Ort Neues zu entdecken.
Nichts muss, alles kann.
Ob ein Angebot angenommen wird, weiß man immer erst später. Wir machen. Denn letztlich ist es das, was Bildhauerei ausmacht: Anfangen, scheitern, ein Sack Gips von A nach B, besser scheitern. Weitermachen!
Der Rest ergibt sich von selbst.
Die nächste Deadline kommt bestimmt.


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